Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung:
Was für ein Name! Zum einen ist der Begriff so sperrig, dass man sich gemeinhin auf die Anfangsbuchstaben beschränkt. Was auch schon allein deshalb eine tolle Idee ist, weil dann nicht so auffällt, wie niederschmetternd die Diagnose klingt: ADHS, wie der Name unmissverständlich vermittelt, ist nicht nur eine Störung, sondern auch ein Defizit. Autsch! Klingt auch ein wenig so, als wollten Menschen mit ADHS nur Aufmerksamkeit heischen, oder? So eine Diagnose will doch wirklich keiner! Kein Wunder, dass Menschen sich lieber als hochsensibel begreifen oder sich dem Autismus-Spektrum zugehörig fühlen möchten, als gestört und defizitär rüberzukommen.
Früher nannte man ADHS auch „minimale cerebrale Dysfunktion“. Frei übersetzt etwa: „sehr kleiner Gehirnschaden“. Auch nicht viel netter. Es hieß auch schon mal „Hyperkinetische Störung“, wobei es bei diesem Namen nur um das Symptom der motorischen Unruhe ging, genauso wie es bei dem Namen ADHS nur um den Bereich der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität geht. Wenn es doch sowieso nicht geht, alle Symptome in den Namen zu quetschen: Warum lässt man es dann nicht einfach ganz? Bei anderen Krankheiten oder Störungen hat man auch darauf verzichtet. Man hatte da offenbar nicht das Bedürfnis, die Betroffenen derart negativ darzustellen.
So viele tolle Namen für Krankheiten!
Manche Krankheiten sind nach Personen benannt (z.B. Alzheimer oder Parkinson), andere verstecken sich hinter einem schicken griechischen Namen (Autismus) oder einem lateinischen (Influenza oder Demenz). Wieder andere kommen modern mit einem englischen Titel daher („Borderline“). Es gibt Krankheiten, die nach einem Fluss (Ebola), einer Stadt (Marburg) oder einer Region (Toskana) benannt wurden. Wieder andere haben einen lustigen Namen (Mumps) und einen niedlichen Kosenamen noch dazu (Ziegenpeter). Es gibt sogar ein Rapunzel- und ein Alice im Wunderland-Syndrom! Wie du siehst, habe ich gegoogelt und keine andere Krankheit oder Störung gefunden, bei der man sich vergleichbare Mühe gegeben hätte, die Betroffenen so zu verunglimpfen wie bei der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung.
Irreführend noch dazu
Es ist ja nicht so, als würde es Menschen mit ADHS an Aufmerksamkeit mangeln – sie sind sogar sehr aufmerksam! Kaum jemand scannt seine Umgebung so effektiv wie ein Mensch mit ADHS. Und niemand kann sich begeisterter einem Herzensthema widmen! Das Problem ist lediglich, die Aufmerksamkeit einzufangen, sie zu bändigen, sie zu zwingen, sich auf als nicht gewinnbringend empfundene Inhalte einzulassen. Es ist also eher ein „Problem“ der Aufmerksamkeitslenkung, wobei sich mir die Frage stellt, wie viel wohl Menschen entgeht, die ihre Aufmerksamkeit perfekt lenken können und ob das durchgehend erstrebenswert ist. Schließlich bringt ADHS unglaublich viele innovative Ideen hervor. Aber ich schweife ab.
Ich würde mir auch wünschen, dass ich nicht sagen müsste: „Ich habe ADHS.“ Weil ADHS keine „Krankheit“ ist, die ich „habe“, sondern eine genetische Grundeinstellung, eine Konstitution. Ich bin ADHS, d.h., ADHS ist ein Teil von mir, der immer da war und immer da sein wird. Eine unveränderliche Grundeinstellung, mit der ich umzugehen lerne, die aber nicht einfach verschwindet. Das würde ich auch gar nicht wollen! Ich will ADHS nicht „loswerden“. Mein Charakter, mein Verhalten, mein Selbstbild – all das ist geprägt von meiner Wahrnehmung und von den Erfahrungen, die ich gemacht habe. Keine Ahnung, wer ich ohne ADHS wäre! Daher beneide ich Menschen mit Autismus, weil die sagen können: „Ich bin Autist.“ Denn ja, sie haben nicht irgendetwas, sondern sie sind so wie sie sind, eben Autisten. Unsereins könnte sich ADHSler nennen, was viele tun, aber das sind 5 Silben, und schön klingt es auch nicht.
Ich finde, man könnte unsere „besondere Art zu sein“ nach Edison oder einer anderen berühmten Persönlichkeit mit ADHS benennen. Oder „Wahrnehmungsstärke“. Oder, oder, oder…. Fast alles wäre besser als der Status Quo.
Fällt dir noch eine treffende Alternative ein?
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