AD(H)S Basics

 

Wer hat das? Und warum?

Wie merkt man, dass man selbst oder jemand anders es hat?

Geht das wieder weg? Was kann man da machen?

Muss man Pillen schlucken?

Ist das nicht nur eine Erfindung der Pharma-Industrie?

Oder eine Ausrede für schlechte Erziehung?

Früher gab es das nicht, oder?

 

So viele Fragen, so viele Vorurteile, so viel Unsicherheit! Dabei ist AD(H)S nicht nur die weltweit am häufigsten auftretende „Verhaltensstörung“ im Kindes- und Jugendalter und wird seit vielen Jahrzehnten diagnostiziert und behandelt, sondern beeinträchtigt auch die meisten Betroffenen noch im Erwachsenenalter.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität-Störung (schrecklicher Name für eine Besonderheit, die auch viel Positives mit sich bringt) findet in der Öffentlichkeit, vor allem aber im Alltag der betroffenen Menschen, nach wie vor zu wenig Beachtung. Selbst in Fachkreisen wird die Komplexität, Tragweite und Behandlungsbedürftigkeit häufig nicht im erforderlichen Umfang wahrgenommen.

Wie zeigt sich AD(H)S?

Welches sind die Kernsymptome von AD(H)S?

Die Kernsymptome treten in den folgenden 3 Bereichen auf:

In der Wahrnehmung, z.B. in Form von

  • erhöhter Ablenkbarkeit
  • Tagträumerei
  • mangelndem Durchhaltevermögen
  • Kritikempfindlichkeit
  • extremer Vergesslichkeit

Im Sozialverhalten, z. B. mit

  • Impulsivität (spontanem Handeln ohne vorheriges Nachdenken)
  • mangelnder Selbststeuerungsfähigkeit
  • niedriger Frustrationstoleranz
  • Schwierigkeiten, planvoll zu handeln und sich selbst zu organisieren
  • Antriebslosigkeit

In der Motorik, z.B. mit

  • Zappeligkeit
  • Ungeschicklichkeit in Grob-/Feinmotorik
  • falscher Kraftdosierung

In der Regel kommen begleitend hinzu:

  • eine seelische Entwicklungsverzögerung
  • ein schnelles psychisches und physisches Ermüden
  • ein extrem ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
  • eine erhebliche Beeinflussbarkeit durch andere

Die Symptomatik ist bei jedem Betroffenen individuell ausgeprägt. Gehäuft treten im Zusammenhang mit AD(H)S weitere Erkrankungen oder assoziierte Störungen auf, wie beispielsweise Lese-Rechtschreib-Schwächen, Rechenschwächen, Tic-Störungen, Ängste, Depressionen oder Suchtverhalten.

Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe positiver Eigenschaften, die auf die allermeisten Menschen mit ADHS zutreffen und die viel zu häufig übersehen werden. Viele Menschen mit ADHS

  • sind sehr sensibel für Stimmungen, mitfühlend
  • durchschauen andere in Sekunden
  • haben einen starken Willen
  • setzen sich für Schwächere ein
  • haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
  • haben häufig ungewöhnliche Ideen, sind kreativ
  • können in Dinge, die sie interessieren, regelrecht „abtauchen“ (Hyperfokus)
  • sind loyal und gutmütig, wenn sie sich gesehen fühlen
  • sind selten nachtragend
  • sind begeisterungsfähig, neugierig und wissbegierig
  • lieben meist Tiere und sind besonders naturverbunden



Menschen mit ADHS sind gar nicht grundsätzlich anders als andere Menschen, sie sind nur in allem ein wenig oder auch sehr viel extremer als der Durchschnitt. Und das macht sie in meinen Augen zu einem Gewinn für unsere Gesellschaft: Wie Seismographen oder wie ein Frühwarnsystem stoßen sie uns mit der Nase darauf, dass bestimmte Tendenzen und Gegebenheiten in unserer Gesellschaft ungesund sind – für uns alle!

AD(H)S - Woher kommt das?

Das Gehirn von Menschen mit ADHS weist einige Besonderheiten auf, die die Wahrnehmung, das Sozialverhalten und die Motorik auf unterschiedlichste Weise beeinflussen. Unter anderem mangelt es diesen Gehirnen an Botenstoffen wie zum Beispiel den Neurotransmittern Dopamin und Noradrenalin, die Informationen von einer Gehirnzelle zur nächsten transportieren. Obwohl auch andere Faktoren die Ausprägung einer ADHS beeinflussen können, ist eine Prädisposition zur ADHS überwiegend genetisch bedingt, wird also vor allem vererbt.

Reizfilterschwäche bei ADHS: Die zentrale Aufgabe des Gehirns ist es zunächst, eingehende Informationen/Wahrnehmungen zu filtern. Fehlt z.B. Dopamin im synaptischen Spalt zwischen den Nervenzellen, kann das Gehirn diese wichtige Aufgabe nur unzureichend bewerkstelligen, d.h. der Reizfilter von Menschen mit ADHS lässt zu viele Informationen gleichzeitig durch. Wichtiges kann nicht von Unwichtigem unterschieden werden und es ist schwierig, den Fokus auf einer Tätigkeit oder einem Input zu halten. Bisweilen kommt es zu einer völligen Reizüberflutung. So reizoffen zu sein ist wahnsinnig anstrengend und ermüdend. Da zudem innere Reize, also die eigenen Emotionen, wenig gefiltert werden können, ist obendrein die Selbststeuerungsfähigkeit herabgesetzt, was zusammen eine explosive Mischung ergibt. Planvolles Handeln ist erschwert, die Ablenkungen sind groß. Das Gehirn sucht Aktivierung, einen Kick, der die Botenstoffproduktion ankurbeln könnte.

ADHS oder ADS?

Menschen mit der vorwiegend hyperaktiv-impulsiven ADHS-Variante aktivieren ihre Botenstoffproduktion unter anderem durch körperliche Bewegung. Das ermöglicht es ihnen, sich besser zu fokussieren. Es handelt sich nicht um eine bewusste Entscheidung, sondern geschieht einfach so mit ihrem Körper, was von ihren Mitmenschen oft als störend empfunden wird. Dieses „Zappeln“ zu unterdrücken kostet jedoch enorm viel Energie und Aufmerksamkeit und führt dazu, dass die Person sich noch schlechter konzentrieren kann. Abgesehen von ihrer (inneren und äußeren) Hyperaktivität führt ihre Impulsivität dazu, dass sie immer wieder unüberlegt und vorschnell agieren und reagieren. 

 Der Körper von hypoaktiven oder vorwiegend unaufmerksamen Menschen mit ADHS (oder ADS, wie es in ihrem Fall auch bis vor Kurzem genannt wurde) reagiert nicht mit Bewegung auf einen Botenstoffmangel im Gehirn. Ihr Gehirn verleitet sie stattdessen dazu, sich von für sie weniger stimulierenden Inhalten/Reizen abzuwenden. Sie schauen dann zum Beispiel aus dem Fenster und verlieren sich in ihrer reichen Gedankenwelt. Ganz in sich versunken bekommen sie in der Regel wenig von dem mit, was zu ihnen gesagt wird oder vergessen dieses schnell wieder. Oft arbeiten sie langsam und fühlen sich erschlagen von der Menge an Eindrücken und der Aufgabenfülle. Die hypoaktive ADHS wird seltener diagnostiziert, vermutlich, weil es von der Außenwelt nicht als so störend empfunden wird wie die hyperaktive Variante, und weil wenig bekannt ist, dass auch sehr stille, ruhige Personen eine Aufmerksamkeits-Defizit-Störung haben können und dann sogar erheblich unter ihr leiden.  

Der Mischtyp am weitesten verbreitet

Nur ca. 10% der Menschen mit ADHS sind wirklich vorwiegend hyperaktiv-impulsiv. Bei etwa 20% zeigt sich eine vorwiegend unaufmerksame Präsentation. In den meisten Fällen jedoch (ca. 70%) spricht man von einer „kombinierten Präsentation der ADHS“, bei der sowohl die Hyperaktivität und Impulsivität als auch die Unaufmerksamkeit deutlich beobachtbar sind. Bei vielen Menschen lässt zudem im Laufe des Lebens die äußerlich sichtbare Hyperaktivität nach, was nicht bedeutet, dass diese nicht innerlich noch vorhanden ist. Aus diesen Gründen unterscheidet man heute nicht mehr zwischen ADHS und ADS und spricht stattdessen nur noch von ADHS.

Hilfreiche Literatur und Links: 

Für Kinder:

Zwei 5-6-minütige ADHS-Erklärvideos:

https://adhshilfe.net/adhs-gehirn-video/

https://adhshilfe.net/adhs-staerken-und-symptome-video/

Rietzler/Grolimund: „Lotte, träumst du schon wieder?“

Freudinger, Anja: „Mein großer Bruder Max“

Niechzial, Saskia: „Wilma Wolkenkopf“

Für Eltern und Pädagogen: 

Sanders, Eva Maria: „Ich dreh gleich durch“

Sanders, Eva Maria: „Schon wieder hat Max“

Rietzler/Grolimund: „Erfolgreich lernen mit ADHS“

Hegener, Andrea: „Hausaufgaben für Eltern von Kindern mit ADHS“ (schrecklicher Titel, aber kurz und knapp und sehr hilfreich!)

Viele Infos, Selbsthilfegruppen, E-Mail- und telefonische Beratung : www.adhs-deutschland.de

Sehr umfangreiche Auswahl von Podcasts der österreichischen ADHS-Expertin Eva Maria Sanders
www.adhshilfe.net

Lerntipps, Videos, Kurse und mehr von den Schweizer ADHS-Experten Grolimund und Rietzler
www.mit-kindern-lernen.ch

Podcast: „Herzschlag Schule“ von Saskia Niechzial

https://liniert-kariert.de/herzschlag-schule-alles-was-schule-bewegt

Instagram-Kanal, Webseite und Podcasts von Corina Elfe: „kapierfehler“

 

 

Erwachsene mit AD(H)S: 

Mina Teichert: „Neben der Spur aber auf dem Weg“

Stephan Rey: „Warum zum Teufel Ritalin?“

Angelina Börgers: „Kirmes im Kopf“ 

Wunderbar verständliche und informative Erklärvideos von Anastasia Zhukova
www.youtube.com/@AktivePsychotherapie/featured

Jessica McCabe´s Videochannel How to ADHD: Jede Menge kurzweilig vermitteltes Wissen zu ADHS und den entsprechenden Herausforderungen (in englischer Sprache)
www.youtube.com/c/howtoadhd

Die Amerikanerin Jessica McCabe vermittelt in ihrem Videochannel How to ADHD auf kurzweilige Art jede Menge Wissen zu ADHS und den entsprechenden Herausforderungen. Die Videos sind in englischer Sprache.
www.youtube.com/c/howtoadhd

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